29/01/2024
Arbeitsleben
Trotz Arbeitskräftemangel finden längst nicht alle Arbeitswilligen eine Stelle: Die Anforderungen stimmen nicht. Wie kann dieses Mismatching behoben werden? Wenn die Unternehmen nicht ihre Ansprüche herunterschrauben wollen, müssen sie in die Qualifikation ihrer Mitarbeitenden investieren – und tun dies auch.
«Der Fachkräfte- hat sich zu einem eigentlichen Arbeitskräftemangel ausgeweitet», stellte Work Life Aargau in einer Story im November 2022 fest. Ein Jahr später hat sich die Lage nicht entspannt – im Gegenteil: Während gemäss x28-Jobradar im dritten Quartal 2022 im Aargau insgesamt 18'761 Stellen ausgeschrieben waren, sind es zwölf Monate später 20'583 gewesen. Im dritten Quartal 2021 waren erst 12'578 offene Stellen gezählt worden. Ende November 2023 vermeldete der Personalvermittler Adecco mit einem Plus von 23 Prozent beim Fachkräftemangel-Index für die Nordwestschweiz einen neuen Rekordwert.
Es ist wenig verwunderlich, dass die Arbeitslosigkeit im Aargau bei tiefen 2,1 Prozent stagniert (Zahlen vom September 2023). Auch hatte die Dauer der Stellensuche gegenüber dem Vormonat leicht abgenommen. Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es nicht nur Stellensuchende gibt, die für die Aufnahme einer Tätigkeit sofort parat wären. Dazu kommen mittelfristig verfügbare Wiedereinsteigerinnen sowie unterbeschäftigte Personen, die gern mehr arbeiten würden, indem sie zum Beispiel ihr Teilzeitpensum aufstocken. Die sogenannte Arbeitsmangelquote betrug im September 2023 schweizweit 9 Prozent. Das zusätzlich gewünschte Arbeitsvolumen der betroffenen Personen beläuft sich auf insgesamt 254’000 Vollzeitäquivalente.
Arbeitskräfte- und gleichzeitig Arbeitsmangel – ein Widerspruch? Nicht gemäss einer aktuellen Arbeitsmarktstudie der Outplacement-Firma von Rundstedt & Partner und dem Branchenmagazin HR Today: «Wenn alle nur noch von Fachkräftemangel reden, wenn selbst Auffangbranchen wie die Gastronomie oder die Logistik Rekrutierungsprobleme bekunden, gibt es solide und gut ausgebildete Arbeitskräfte, die auf der Strecke bleiben.» Nicht alle, so die Studienautoren, könnten die geeigneten Anforderungen nachweisen, denn diese änderten sich laufend, «sind dynamisch und wenig vorhersehbar». Eine gewisse «Parallelität von Fachkräftemangel und struktureller Arbeitslosigkeit» ist also durchaus erklärbar.
Der CEO von von Rundstedt & Partner kritisierte im «Blick» die Unternehmen. Ihre «Bereitschaft, Leute einzustellen, die man dann noch weiterbilden muss, ist tief». Statt dass auch Bewerberinnen und Bewerber in Betracht gezogen würden, die das Anforderungsprofil nicht perfekt erfüllen, sei Branchenerfahrung bei zwei von drei befragten Firmen ein Muss-Kriterium. «Das zeigt, dass die Not bei den Unternehmen gar nicht so gross ist, wie sie uns glauben machen.»
Bereits qualifiziertes Personal zu finden, dies wird von den hiesigen Unternehmen, die an der Wirtschaftsumfrage 2023 der Aargauischen Industrie- und Handelskammer (AIHK) teilgenommen haben, als immer schwieriger betrachtet. Die Zufriedenheit mit der Verfügbarkeit von Fachkräften habe sich «markant verschlechtert», heisst es im Bericht über die Umfrage. Dass die Unternehmen nicht bereit sein sollen, in die Qualifikation ihrer Mitarbeitenden zu investieren, will AIHK-Direktor Beat Bechtold aber nicht stehen lassen. «Firmen verschiedener Branchen setzen vermehrt auch auf Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger und leisten einen entsprechenden Effort, diese on the job auszubilden.» Bei einfacheren und stark repetitiven Tätigkeiten seien die Hürden auch nicht allzu hoch. Auch bestehende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind nicht davor gefeit, sich weiterbilden zu müssen. Bechtold kennt Beispiele von Unternehmen, die jungen, ausgelernten und vielversprechenden Berufsleuten eine Kaderposition in Aussicht stellen und bereit sind, die Hälfte der dafür nötigen Fortbildung zu bezahlen.
Auch Quereinsteigerinnen und -einsteiger müssen zuerst rekrutiert werden. Für ein erfolgreiches Employer Branding leistet Work Life Aarau verschiedene Unterstützungsmassnahmen. Unternehmen, die sich und ihre offenen Stellen auf der Plattform für professionelles Fachkräftemarketing präsentieren, erhöhen ihre Bekanntheit die Arbeitskräften und Stellensuchenden. In Praxis-Workshops – zum Beispiel zu Active Sourcing, Talente finden und binden oder Blue-Collar-Rekrutierung – werden die WLA-Mitgliedsfirmen inspiriert, neue Wege zu gehen. Und unter der fachkundigen Begleitung durch HR-Profis tauschen sich Arbeitgeber der WLA-Community aus und profitieren gegenseitig von Erfahrungen.
Kurzfristig erachtet Beat Bechtold das Mismatching zwischen Arbeitskräftemangel und strukturierter Arbeitslosigkeit nicht als akutes Problem, denn die Wirtschaftslage trübt sich ein. Der Aargauer Konjunkturbarometer zeigte im Oktober ein rückläufiges Wachstum und weniger offene Stellen. «Meldungen über Stellenreduktionen grösserer Unternehmen mehren sich», heisst es im Bericht. Langfristig führe die demografische Entwicklung aber zu einer weiteren Verknappung inländischer qualifizierter Arbeitskräfte. Umgekehrt seien fehlende Lehrstellen in beliebten Berufen leider auch eine Realität, so Bechtold. Sie waren der Grund dafür, dass 2022 die erstmals geplante Messe ICT Berufe Aargau abgesagt werden musste. Gleichzeitig warnte der Dachverband ICT Berufsbildung Schweiz: «Bis 2030 wird in der Schweiz eine Lücke von 38’700 ICT-Fachkräften entstehen.»